Aktuell gibt es wohl keine Branchenkonferenz, auf der nicht davon gesprochen wird, wie disruptive Digitalisierung, neue Wettbewerber und innovative Geschäftsmodelle bestehende Industrien grundlegend verändern oder gar komplett verdrängen. Schnelle Anpassungsfähigkeit, Kundenorientierung, Innovation und Customer Experience sind zu den Top-Führungsthemen geworden und haben dabei das Thema Agilität auf die Agenda vieler Unternehmen gebracht.
Dabei ist Agilität ist kein neues Thema, es handelt sich vielmehr um erprobte Ansätze, die teilweise schon seit Jahrzehnten existieren und nun auf einer unternehmensweiten Ebene eingesetzt werden. Im Kern geht es bei Agilität um den Menschen (Mitarbeiter und Kunden) und um kontinuierliche Verbesserung. Konkret bedeutet dies: enge Zusammenarbeit mit dem Kunden, kleine selbstständige Teams mit verschiedenen Experten, frühe und häufige Ergebnisse sowie schnelle Anpassung an Veränderung.
Ein agiles Methodenset ist ein Sammelsurium aus unterschiedlichen Techniken und kann für jedes Unternehmen unterschiedlich zum Einsatz kommen. Gemeinsam ist diesen Methoden, dass sie auf Kundenorientierung, adaptiver Planung, evolutionärer Entwicklung, frühzeitiger Lieferung und kontinuierlicher Verbesserung basieren. Dieses Methodenset ist erlernbar, trainierbar und bringt bei situationsadäquatem Einsatz gute Ergebnisse. Für eine effektive, agile Zusammenarbeit braucht es neben der Methodenkompetenz vor allem eine agile lösungsorientierte Haltung und eine Ausrichtung auf gemeinsame Werte.
Was macht eine agile Haltung aus?
Vier Wertedimensionen vermitteln die Grundhaltung von Agilität:
- Den Kunden in den Mittelpunkt stellen und intensive Interaktion und Zusammenarbeit mit dem Kunden pflegen.
- Stärkung von Teams und Erzielen von Spitzenleistungen durch selbstorganisierte, multidisziplinäre Teams.
- In kleinen Schritten entwickeln, anstatt einen großen Plan zu haben, und Arbeitsergebnisse frühzeitig und kontinuierlich liefern.
- Sich schnell an Veränderungen anpassen, indem mit speziellen Methoden reagiert wird, z.B. durch Selbstreflexion, Feedback, Retrospektive und weiteren teamorientierten Formaten.
Erst wenn diese Prinzipien täglich angewendet und durch die Führungskräfte auf allen Ebenen unterstützt werden, lassen sie eine Organisation agil werden („das agile Mindset haben“). Dies macht den entscheidenden Unterschied zwischen erfolgreichen und weniger erfolgreichen Teams aus, die „nur“ agile Methoden anwenden („die agile Methode/Technik meistern“).
Für eine wirksame agile Zusammenarbeit braucht es eine flexible, gemeinsam genutzte Umgebung – also passende Räume für Coworking, Teammeetings und Socializing – sowie die Entwicklung neuer Verhaltensweisen und Fähigkeiten. Das volle Potential agiler Zusammenarbeit kann erst ausgenutzt werden, wenn über das operative Beherrschen von Methoden eine gemeinsame Haltung entwickelt werden kann. Dazu gehören gemeinsame Ziel und Werte, sowie das gegenseitige Verständnis, was mit Agilität erreicht werden soll.
Agile Arbeitsweisen – ein kurzer Überblick
Das agile Methodenset setzt sich aus Methoden zusammen, die aus verschiedenen agilen Denkschulen (Scrum, Kanban, Design Thinking, Lean Startup) kommen. Eine geschickte Kombination dieser Methoden kann zu nachhaltiger Innovation führen.
- Scrum und Kanban:
Um operativ, effektiv und effizient arbeiten zu können, ist es wichtig, dedizierte multidisziplinäre Teams aufzustellen, die eine Ende-zu-Ende-Verantwortung haben. Die Teams sollten möglichst geringe Abhängigkeit zur Organisation aufweisen, um autonom arbeiten zu können. Regelmäßige Haltepunkte und Reviewtermine sind wichtig, um einen guten Informationsfluss und Transparenz sicherzustellen. Klar kommunizierte Regeln helfen, Entscheidungsgrößen festzulegen und Spielräume zu nutzen. Bei Steuerung und Umsetzung bieten das Scrum Framework und Kanban eine gute Struktur. - Business Modelling / Lean Startup:
Zu der Ausformulierung eines Wertversprechens gehört auch ein tragfähiges Geschäftsmodell. Das Business Model Canvas oder Lean Canvas beschreibt die Elemente des Geschäftsmodells, die für ein tragfähiges Geschäftsmodell erforderlich sind. Während des gesamten Projekts werden die getroffenen Annahmen mit Experimenten überprüft, sodass letztendlich das aussichtsreichste Geschäftsmodell umgesetzt werden kann. - Design Thinking:
Startpunkt einer guten User Experience sind die Kundenbedürfnisse. Design Thinking befähigt das Team Kundenbedürfnisse zu identifizieren und darauf basierend eine relevante Produktvision zu entwickeln. Die Nutzerzentriertheit ist der Ausgangspunkt für den gesamten Prozess, bei dem Bedürfnis- und Problemfacetten der Nutzer ermittelt werden. Multidisziplinäre Teams helfen dabei, bestehende Unternehmenssilos aufzubrechen. Erst die Kombination unterschiedlicher Sichtweisen und Expertisen bringt ein einheitliches Kundenerlebnis über alle Berührungspunkte hinweg sowie tragfähige Lösungen.
Agilität und Kerngeschäft – wie passt das zusammen?
Viel Unternehmen sehen sich in einem sogenannten „double bind“. Einerseits soll das Kerngeschäft stabil wachsen, andererseits muss auf Wandel im Markt mit der Flexibilität eines Start-ups reagiert werden. Diese organisationale Ambidextrie (Beidhändigkeit) herrscht überall dort, wo das Ausnutzen von Bestehendem (Exploitation) und das Erkunden von Neuem (Exploration) gleichermaßen wichtig sind, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Besonders gut geeignet ist agiles Arbeiten in Bereichen, wo Probleme in komplexen Umgebungen bearbeitet werden. Dies trifft insbesondere auf Teams in der Entwicklung von Produkt- und Serviceinnovationen zu. Die Meinung, dass Agilität nur für komplexe Problemstellungen geeignet ist, ist weit verbreitet. Aber sollte nicht auch in anderen Bereichen agil gearbeitet werden, wo der Fokus auf Lieferung und Effizienz liegt?
Viele Grundzüge des visuellen und leanen Managements finden ihre Ursprünge in Operations Teams von Toyota. Es wird schnell klar, dass auch andere Bereiche von agilen und leanen Arbeitsweisen profitieren, wenn wir uns die Vorteile vor Augen führen: Selbstorganisation, Transparenz, Kundenzentriertheit, Risikominimierung durch Überprüfung und Anpassung sowie Reduzierung von Ineffizienzen.
Agile Methoden sind kontextabhängig (es gibt keine Blaupause) und sie unterstützen das Ausleben eines agilen Mindsets. Daher können auch Teams, die nicht in komplexen Umgebungen agieren, von einer neuen Art des Arbeitens profitieren, indem sie leane und agile Prinzipien, Techniken und Rituale erlernen und anwenden. Kleine Experimente können helfen auszuprobieren und zu testen, welche Arbeitsweisen am zielführendsten für das Team und den jeweiligen Kontext sind.
Agile Methoden haben das Potential, eingefahrene Abläufe zu ersetzen, eine neue positive Kommunikationskultur zu entwickeln und die Möglichkeit zu gemeinsamer Gestaltung zu eröffnen.