Positive Leadership vs. Führungsalltag

„Ab jetzt alle positiv – aber flott!“

„Also ich versteh den Chef nicht mehr“, meint der Bereichsleiter in der Tagungspause zu seinem Kollegen, „der stellt sich da auf die Bühne und redet alles schön – für mich der völlige Realitätsverlust – müssen wir jetzt alle so werden?“ Der Kollege sieht das entspannter: „Endlich nicht mehr das ewige Gejammere und die Weltuntergangsfantasien. Der Druck bringt doch nichts außer schlechte Stimmung. Er konzentriert sich eben mal auf das Positive!“  

Positive Leadership, die Kraft der positiven Gedanken und Konzentration auf die Stärken, davon haben viele gehört oder gelesen und versuchen, es anzuwenden. Aber Begriffe und Anwendungskontext sind unklar und verworren. In der Kommunikation nach außen ist das ja seit Langem klar: Presse, Kunden, Shareholder und der „Markt“ bekommen die rosarote Weichspülversion serviert. In der Innenkommunikation, der Führungsarbeit, den Tagungsbotschaften setzt sich schrittweise ebenfalls diese Haltung durch – ein Missverständnis und eine Gefahr.

Konflikte und Sachprobleme verschwinden nicht, auch wenn man Meinungsverschiedenheit und Herausforderung dazu sagt oder die Themen überhaupt umschifft und nicht anspricht. Manchmal mag das Aussitzen die richtige Lösung sein, aber reines Umdeuten, Verschweigen und die Flucht in Werbebotschaften ist mit Positive Leadership nicht gemeint und führt zu Ja-Sager-Mentalität und unkritischen Mitarbeitern. Aber was ist nun gemeint kurz und knackig, ohne drei Bücher dazu lesen zu müssen?

Es beginnt bei der Haltung – schon wieder bei denen „ganz oben“

Eine positive Grundhaltung zu Menschen, dem Produkt, für das man steht, und am wesentlichsten: zu der eigenen Problemlösungskompetenz, zu dem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten (nicht Talente) und in die Kraft von ehrlicher, vertrauensbasierter Teamarbeit ist hilfreich. Eine solche Haltung entsteht nur über die Zeit und über Lernerfahrungen und wird stark geprägt vom unternehmerischen Umfeld, in dem man beruflich sozialisiert wurde. Die Summe dieser Lernerfahrungen und Verhaltensweisen ist die Unternehmenskultur. So gesehen ist die positive Auftaktrede des Vorstandes (des Chefs, der eingangs erwähnt wurde) schon ein guter Startpunkt und sinnvoll, sofern weitere Maßnahmen folgen. Die Androhung von Sanktionen bei praktiziertem Nicht-Positivismus gehört jedenfalls nicht dazu.

Positive Interventionen in und für Führungsteams:
Walk the Talk

Wenn wir davon ausgehen, dass Machterhalt, Karrieredenken und Egozentrierung zwar existieren, aber in der Sacharbeit grundsätzlich überwunden werden können, ist es Zeit für eine Investition in ein wenig Führungskräfteentwicklung – und die beginnt ganz oben. Die Positive Psychologie kennt ein gutes Dutzend Interventionen, die nachgewiesen positive Wirkungen auf Arbeitszufriedenheit und -ergebnisse haben. Rund die Hälfte davon ist im Unternehmens- und Teamkontext bei ausreichender Bereitschaft zum Verlassen der Komfortzone ausgezeichnet einsetzbar. Die Superstars darunter sind: Ressourcenorientierung, Dankbarkeitshaltung, Sensibilisierung auf das, was gut läuft, und Erfolge feiern.

Beginnt ein Geschäftsbereich, eine Region, ein Standort mit diesen Methoden zu arbeiten, und steht die einzelne Führungskraft und dessen Peers – also der engere Führungskreis – dazu, dann geht die Post ab in Richtung High Performance und weg vom Durchschnitt. Solange es Führungskreismitglieder gibt, die diesen Prozess belächeln und nicht mittragen, bleibt man besser bei den alten Methoden oder beginnt auf kleiner Flamme in einzelnen Abteilungen.

Und die Mitarbeiter? Gehen Sie in den Pausenraum und hören Sie mal nur zu!

Wie lautet dort das Mantra? Alles furchtbar! Man könnte oft glauben, wir leben in einem Entwicklungsland, es existieren keine Arbeitgeberrechte, Urlaub gibt’s nur bei Lebensgefahr, Gehalt kommt unregelmäßig, die Chefs hören nicht zu und außerdem war schon wieder Stau – alles ein Wahnsinn. Klatsch und Tratsch und Übertreibung haben eine wichtige soziale Funktion und sind damit auch in Unternehme notwendig. Sie erfüllen eine Ventilfunktion, die nicht zu unterschätzen ist. Wenn wir davon ausgehen, dass Sprache hauptsächlich dazu entwickelt wurde, um über andere zu tuscheln, dann wäre es jedenfalls eine schöne Aufgabe, „Positiven Tratsch“ zu entwickeln. Führungskräfte haben eine Multiplikatorfunktion, ihre Kommunikation und ihre Entscheidungen werden genau beobachtet und interpretiert. Echte positive Handlungsweisen und die dazu passende Kommunikation haben mit einiger Verzögerung eine hohe Chance, in der Sacharbeit und sogar im Pausenraum anzukommen.

Nur mehr „positiv“ – reicht das?

Wohl kaum. Mitarbeiter haben nicht nur Stärken, sondern auch Schwächen, sowohl inhaltlich als auch in den social skills. Die Stärken stärken und im Teamkontext sinnvoll einsetzen, ist eine Sache – die Schwächen wertschätzend ansprechen und Verbesserungsimpulse setzen, um komplettere, kompetentere Experten zu entwickeln, ist zusätzlich unerlässlich.

Projekte haben Krisen, und es ist wichtig, genau hinzusehen und Entscheidungen zu treffen. Jedoch macht es einen Unterschied, ob aus einer kleinen Verzögerung ein Drama gemacht wird, Sonderberichte eingefordert werden, Projektleitung und -team verunsichert werden und in Zukunft Fehlervermeidung anstatt Innovation und Spitzenleistung erste Priorität bekommen. Oder aber das Thema wird sachlich und sportlich angegangen: „Das kriegen wir hin. Das haben wir schon oft geschafft. Wer kann uns jetzt helfen, und welche Stärken haben wir in unserem Team, die wir jetzt brauchen können?“ Mit diesem positiven Spin wird zwar auch nicht jedes Projekt gelingen, aber deutlich weniger Kollateralschäden und mehr Freude und Spaß entstehen. Wenn das gelingt, dann ist die positiv gefärbte Rede vom Chef plötzlich nicht mehr unverständlich sondern schlüssig und Teil der Kultur.

Ach ja – und das Feiern bitte nicht vergessen!